In meinem neuen Buch „Die fabelhafte Welt des Lenormand“ spielen Märchen eine große Rolle. Denn viele Symbole, die uns aus dem Lenormand vertraut sind, kennen wir bereits seit Kindertagen aus den Märchen, auch wenn uns das nicht mehr so bewusst ist. Schneewittchen schläft in einem Sarg, Aladin befreit sich mit seiner Wunderlampe aus einem Berg, die Geschichte der Schneekönigin beginnt mit Rosenranken (Motiv der Blumen), über die sich zwei Menschenherzen miteinander verbinden, in der Gänsemagd wird ein Pferd (Teil der Karte der Reiter) Mittler zwischen Dieseits und Jenseits usw. Da Märchen uns wie das Lenormand über Bilder ansprechen, haben sie eine starke seelische und emotionale Wirkung – auch auf uns Erwachsene. Wir lernen uns selbst besser zu verstehen. Oft erhalten wir durch das Eintauchen in die Welt der vielsagenden Bilder auch Wegweiser oder sogar Lösungen für schwierige Lebenssituationen. Und der Umgang mit Symbolsprache stärkt das Verständnis für das Lenormand.
Sobald wir uns wieder mit den Symbolen aus den Märchen verbinden, empfangen wir erkenntnisreiche Botschaften und tiefliegendes Wissen über die Bedeutung dieser Symbole im Lenormand!
Für mich persönlich war die Reise durch die Märchenwelt während meiner Arbeit an dem Buch so spannend und bereichernd, dass ich Sie gerne mit Ihnen zusammen fortsetzen möchte. Anlässlich der Erscheinung der fabelhaften Welt des Lenormand möchte ich die neue Serie „Märchenhaftes Lenormand“ beginnen. Als erstes begegnen wir mit Rapunzel. Es bringt uns die Symbolik des Turms näher und zeigt, dass er durchaus auch gute Botschaften beinhaltet.
Die Märchen werde ich immer nur in kurzen Abschnitten und Ausschnitten nacherzählen. Wer Rapunzel nochmal im Ganzen nachlesen möchte, findet das Märchen hier.
Rapunzels Eltern, deren Kinderwunsch lange unerfüllt blieb, blicken durch das Fenster ihres Hinterhauses jeden Tag auf den Garten einer Fee, den sie nicht betreten dürfen. In ihrem unbändigen Heißhunger auf die darin wachsenden Rapunzeln schickt die schwangere Frau ihren Mann dorthin, um ihr heimlich welche zu holen. Als die Fee ihn dabei ertappt, gestattet sie ihm zwar die Rapunzeln mitzunehmen, verlangt aber dafür einen hohen Preis: „Dafür will ich, dass du mir das Kind gibst, was deine Frau jetzt in sich hat.“ Nach der Geburt fordert die Fee das neugeborene Kind mit dem Namen Rapunzel sofort ein …
Gleich zu Beginn des Märchens können wir das Motiv des Turms entdecken. Das Hinterhaus besitzt keinen eigenen Garten, sondern nur einen auf den das Paar von ihrem kleinen Fenster aus blickt. Das dort wachsende Grün zieht die schwangere Frau magisch an. Sie meint sogar, ohne es verzehren zu dürfen, sterben zu müssen. Das Leben des Paares erscheint grau und eintönig. Umso größer ist deswegen das ungestillte Verlangen der Frau nach der Frische der Salatblätter. Sie will sich dadurch die erquickende Lebendigkeit in ihr tristes Dasein holen, die ihr so sehr fehlt.
Hier finden wir die erste, klare Entsprechung zum Turm-Thema im Lenormand: Er zeigt uns die Seiten, die wir nicht leben oder als mangelhaft empfinden. Abseits unseres Wirkungskreises „scheint das Gras immer grüner“. Wünsche und Sehnsüchte werden nach eben jenen Dingen geweckt, die in unserem eigenen Leben zu kurz kommen. Die zweite Entsprechung zum Turm ist das passive Aushalten eines schier unerträglichen Zustandes. Die Frau kommt nicht auf die Idee, selbst für ihre Sättigung zu sorgen. Ihr Mann, der ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt seines Lebens stellt, sorgt für Abhilfe. Nur um seine Frau endlich glücklich zu sehen, ist er bereit, sogar das größte Opfer zu bringen, nämlich das Kind der Fee zu überlassen. Damit ist die dritte Entsprechung erwähnt: Leid und Verlust durch Opferhaltung. Gegenüber der Fee erscheint der Mann wehrlos. Ohne über Alternativen auch nur ansatzweise nachzudenken, stimmt er dem folgenschweren Handel widerspruchslos zu.
Weitere interessante Parallele zum Lenormand: Vom Turm blicken wir direkt auf die Folgekarte – den Park, auch Garten genannt! Der Schritt in die Freiheit liegt demzufolge oft näher als man denkt! Doch erst muss man dafür den eigenen Sichtweisen die Tür öffnen und geistig wie auch tatsächlich Neuland betreten! Rapunzels Eltern lassen eine Erweiterung ihres Horizonts nicht zu. Deswegen ist der Mann lediglich ein Dieb und kein Gast in dem fremden Garten. Denn er sieht nur das, was ihm eigentlich nicht gehört. Er entwickelt keine eigenen, neuen Denkweisen – blickt kaum über den Tellerrand hinaus! Er wird nicht nur von der Fee bestimmt sondern auch von seiner Frau getrieben! Das zeigt deutlich die vierte Entsprechung zum Turm: Fremdbestimmung und Gefangenheit in sich selbst. Aber selbst der Turm birgt immer das Potential zur Befreiung aus scheinbar ausweglosen Situationen und Erlösung! Jedoch muss das Einreißen seiner Mauern meistens erst im Kopf beginnen.
Im zweiten Teil werden wir die Botschaft des Turms, in dem Rapunzel von der Fee festgehalten wird, mit der Bedeutung des Turms im Lenormand vergleichen. Dabei werden wir deutlich sehen, dass die Karte des Turms auch eine befreiende Wirkung haben kann. Außerdem werden wir uns der Zahlenmystik zuwenden. Was die Karte der Eulen damit zu tun hat und wie sie eng mit dem Märchen Rapunzel verknüpft ist, erfahren Sie bald.
Hier geht es zu Teil 2.